„Was soll man tun, wenn das Herz trabt?“
Am 3. April 2018 kam auf Gestüt Mutzenhof ein ganz Großer auf die Welt: Ein späterer Derbysieger. Vier Jahre später holte sich Days of Thunder mit Thorsten Tietz das Blaue Band in Berlin. Ein großer Tag für das oberbayerische Gestüt, das zur Erinnerung der pferdenärrischen Zündapp-Erbin Elisabeth Mann von der gleichnamigen Stiftung betrieben wird. Die Stiftung hat sich der Pferdezucht und der Nachwuchsförderung verschrieben. Werner Kammermeier (47), ausgebildeter Berufsfahrer, hat vor einigen Jahren das Zepter auf dem Hof übernommen und den Mutzenhof zu neuer Blüte geführt. Dass die Zeiten dennoch sehr hart sind, weil der Trabrennsport in Deutschland erheblich schwächelt, hat der Gestütsleiter im Wettstar-Interview mit Melanie Bäumel-Schachtner sehr offen und ehrlich erzählt und Verbesserungsvorschläge auf den Tisch gebracht. Ein Gespräch mit Wehmut und Kritik, aber auch mit Herzblut und mit dem Blick nach vorne.
Wir merken es gerade ganz extrem, wenn es an die Jährlingsverkäufe geht. Auch die Auktion hat tatsächlich gezeigt, dass die Besitzer gerade wenig Geld ausgeben wollen. Es ist sehr schade, sehr dramatisch. Wir haben uns schon überlegt: Was machen wir, wenn wir keine Traber mehr züchten? Was züchten wir stattdessen?
(seufzt) Ich weiß es wirklich nicht. Wir würden vielleicht am ehesten Quarter züchten.
Was soll man tun, wenn das Herz trabt? Ich bin nun mal mit Leib und Seele im Trabrennsport verwurzelt.
Wir waren das letzte Mal 2019 auf einer Auktion vertreten. Die Erlöse waren immer schwierig. Es ist ja so: Der Samen, zum Beispiel von Propulsion, kostet schon mal 9.000 Euro plus Steuer. Dann kostet mich die Stute, dann kostet mich das Fohlen, dann die Anmeldegebühren, Tierarzt, Hufschmied… Da kommen Kosten von rund 20.000 Euro zusammen. Wenn ich einen Preis von 20.000 Euro für einen Jährling aufrufe, dann geben mir die Kunden immer den Eindruck, ich würde sie berauben. Dabei geh ich gerade einmal pari raus.
Wir haben drei Jährlinge zum Verkauf und einen Interessenten, es ist ein Liebhaber. Die anderen beiden gehen schleppend. Es gibt Anfragen, wenn ich aber einen reellen Preis nenne, dann springen die Kunden ab.
Nein, gleich viel. Wir haben heuer vier Fohlen. Drei Stuten haben wir heuer bedeckt, aber eine hat leider resorbiert und dann waren wir bei ihr zu spät im Jahr. Wir haben zwei sehr interessante Produkte in Aussicht: Wir haben Donatella Comtesse, die Mutter von Days of Thunder, mit Bold Eagle gedeckt. Und wir haben auch die Schwester von Days of Thunder hier, Duchess, zu ihr kam ich wie die Jungfrau zum Kinde. Sie habe ich bedecken lassen mit Calgary Games. Wir haben also Mutter und Tochter hier und beide bekommen hoffentlich ein gesundes Fohlen, beide sehr Ready-Cash-lastig. Insgesamt haben wir nun wieder neun Stuten, zwischen neun bis 12 Stuten ist unser Standard. Unsere langjährigen Kunden bleiben voll am Ball. Wir haben zum Beispiel ein Fohlen von Francesco Zet, wir sind die einzigen in Deutschland, die eine Stute nach Francesco Zet tragend bekommen haben. Es freut mich auch sehr, dass Marie Lindinger uns Ocean Blue brachte.
Mit Corleone. Ocean Blue ist Maries Seelenpferd und sie wollte daher durch Corleone eine familiäre Verbindung.
Ja, ganz genau.
Nein, überhaupt nicht, gar nicht. Als wir das Derby gewonnen haben, wurde ich gar nichts gefragt, weder bei der Siegerehrung noch danach. Wir waren in keiner Zeitung, auch Mein Trabrennsport hat nichts über uns geschrieben. Niemand hat angeklopft, um zu fragen, wie das jetzt für den Mutzenhof ist. Das ist sehr bedauerlich. Bei uns war das so: Wir haben das Derby gewonnen, wir haben uns riesig gefreut und waren abends noch mit Marcus Gramüller beim Essen. Wir hatten aber einen Jährling dabei und mussten heim, und als wir morgens um 7 Uhr auf dem Hof ankamen, da hatten meine Azubinen ein Plakat über die Tür gehängt, auf dem stand „Herzlich willkommen dem Züchter des Derbysiegers“.
Es ist ein Problem, dass die Stützsäulen des Sports, die Züchter, nichts wert sind. Der Züchter ist immer außen vor. Klar formt der Trainer ein Pferd zum Sieger, und der Pfleger hat einen Anteil. Aber es würde den Erfolg dennoch nicht geben, wenn der Züchter das Pferd nicht aus der Mama rausgezogen hätte, ihm geholfen hätte zu stehen und zu trinken und es behütet hat, bis es ein Jährling war.
Wir haben am 14. September eine Sitzung bei uns am Hof. Dabei wird ein Mitglied in den Züchterbeirat des HVT gewählt. Ich hoffe sehr, dass wir damit dann mehr Mitspracherecht haben. Wir wollen sehr gerne den Sport mitgestalten können.
Wir wollen sagen dürfen, die Breeders Crown ist tot, sie muss abgeschafft oder reformiert werden. Wir könnten zum Beispiel die Grenzen aufmachen für Österreich, dass wir damit mehr Einzahler haben. Und dann muss das alles auch besser vermarktet und verkauft werden. Auch muss man mit der Züchterprämie was machen. Wenn man sich schwedische Auktionen anschaut, dann wundert man sich, dass ein Readly Express-Nachkomme da für 8.000 Euro weggeht und die Decktaxe kostet bereits 11.000 Euro. Aber die kriegen das Geld zurück über die Züchterprämie.
Mir ist klar, dass wir das nicht so leicht umsetzen können. Aber es steht immer noch im Raum: Was geschieht mit der Züchterprämie, wenn ein ausländisches Pferd gewinnt? In einem großen Zoom-Meeting mit lauter namhaften Züchtern zur Vorbereitung der Sitzung am 14. September haben wir darüber gesprochen. Wir haben darüber diskutiert, dass das Geld in irgendwelche Unkostenpunkte beim HVT läuft, aber warum kann das nicht wieder den Züchtern zur Verfügung gestellt werden? Wieso kann man nicht versuchen, die Züchterprämie auf 15 Prozent hochzuschrauben?
Mir wurde schon vor einem Jahr gesagt, die Holländer ziehen sich zurück, und die diesjährige Auktion hat es bewiesen. Sie verlagern sich alle nach Schweden. Es gibt viele Baustellen. Das geht schon los bei der Vermarktung. Wir sind eine Nische, wir brauchen eine bessere Ansicht der Öffentlichkeit auf den Sport. Wir müssen anders wahrgenommen werden. Ganz wichtig ist: Die Besitzer müssen jünger werden.
Man muss zeigen und sagen, dass wir ein pferdegerechter Sport sind. Trabrennen sind mittlerweile viel schöner anzusehen. Das Pferd wird gefordert, aber mittlerweile schonend. Wir müssen Kunden unter 40 erreichen und ihnen zeigen, wie schön unser Sport ist. Man muss auch die Rennserien reformieren, um attraktiv zu sein. In der Dreijährigenserie konnte man heuer gutes Geld verdienen. So etwas brauchen wir. Und wir brauchen Nachwuchs. Es hilft uns nichts, wenn Michael Nimczyk gegen Robbin Bot fährt, weil die beiden sind auch schon um die 40. Auch diese beiden können nicht für immer im Kreis fahren. Dann kommt ein großer Sprung auf Aktive wie Rudi Haller oder Sepp Sparber. Die werden auch irgendwann in Rente gehen. Unsere junge Riege ist auch schon zu alt. Wir brauchen Nachwuchs.
Wir haben zusammen mit Berlin Rennen während der Derbywoche für Nachwuchsfahrer gesponsert. Dabei haben wir eine Altersgrenze gemacht, so war es auch wirklich für den Nachwuchs. Zwei Rennen kamen zustande, damit war ich sehr zufrieden. Es war auch echt toll für die jungen Fahrer: Erstens durften sie während der Derbywoche Rennen fahren. Und zweitens haben sie tolle Preise gewonnen – hey, sie dürfen zum Prix d’Amérique. Die Elisabeth-Mann-Stiftung hat aktuell noch eine Auszubildende, die wir unterstützen. Vielleicht muss man davon wegkommen und nicht das Geld in einen Betrieb investieren, also einem Trainer einen Azubi finanzieren, sondern das Geld in den Azubi selbst investieren. Das ist aber nur meine Meinung, entscheiden müssen es die Verantwortlichen der Stiftung.
Man könnte dem Azubi zum Beispiel drei Monate im Ausland sponsern, ihn unterstützen mit der Kontaktaufnahme zu einem renommierten Trainer in den USA, in Frankreich oder in Schweden, und ihn dann monatlich unterstützen, denn als Praktikant verdient er oder sie ja kein Geld. Das würde meiner Meinung nach auch zu mehr Motivation für schulische Erfolge führen. Ich sage damit dem Lehrling: Du hast es verdient. Ein echter Anreiz.
Auf keinen Fall. Ich liebe nach wie vor meinen Job, auch, wenn er nicht immer einfach ist und Urlaub und Freizeit sehr rar sind. Aber es lohnt sich immer noch.